Das Studium macht einen anderen Menschen aus mir- einen Menschen der lernt zu erkennen
Mein erstes Semester im Masterstudium liegt bereits hinter mir. Wir ihr wisst wurde ich mitgerissen von der Recoverybewegung, aber auch von anderen Themen, die sicher alle miteinander verwoben sind. Ich finde es schön, dass die Seminare häufig so aufgebaut sind, das wir lernen zu reflektieren und auch kritisch zu denken. Die erste Prüfung ist nun abgeschlossen. Sie war nicht schlecht, aber dafür, dass ich mich auch persönlich so viel mit dem Modul Recovery auseinandergesetzt habe, hätte es noch ein klein wenig besser laufen können. Eines werde ich wohl niemals wirklich aus der Hüfte schütteln und das ist freies reden. Ich weiß einfach nicht, wie ich die vielen Dinge in meinem Kopf aus meinem Mund bekommen soll. Ein weiteres Manko ist wahrscheinlich meine unwissenschaftliche Ausdrucksweise. Na ja, immerhin können mich dann alle verstehen. Man muss es positiv sehen. Aber ich glaube ich habe andere Vorzüge, die vielleicht der Wissenschaft und meinem Umfeld dennoch dienlich sein könnten.
Nun gut, eigentlich wollte ich noch etwas anderes erzählen. Ein Thema in der Prüfung waren Diagnosesysteme. Mein Mann und ich haben, aufgrund eines Artikels, den ich für die Prüfung lesen musste, darüber diskutiert ob es sinnvoll ist, dass wir Diagnosen bekommen und wie wäre es, wenn es diese nicht geben würde? Kaum vorstellbar. Wir sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass es auch keine gute Idee wäre so ganz ohne Diagnosen. Ich persönlich zum Beispiel stecke Menschen ziemlich häufig in Schubladen. Das muss gar nicht negativ sein, aber ich mache es… und andere machen das auch. Was wäre denn dann mit Menschen, die vielleicht wirklich an einer schweren psychischen Erkrankung leiden und nicht dem von der Gesellschaft konstruierten „normalen“ entsprechen? Wären sie dann wieder von Dämonen besessen? In dem Buch „Normal“ von Allen Frances habe ich die Textstelle gefunden, die genau das aussagt, was mein Mann und ich für uns herausgefunden haben. „Der Mensch ist das benennende Tier. Er denkt in Mustern, um sich orientieren zu können und es gibt ihm Sicherheit. Das kann Fluch oder Segen sein.“ So sehe ich das auch. Es kommt doch nur darauf an, wie wir uns reflektieren und erkennen, dass wir vielleicht mit unserer ersten Vermutung über einen Menschen falsch liegen können. Wir dürfen nie aufhören uns zu hinterfragen indem was wir tun und denken. Dann können wir die Flüche abmildern. Gerade im Studium merke ich immer wieder, wie sehr ich in meiner kleinen Welt lebe und oft Dinge für selbstverständlich halte, sie es aber nicht sind. Manchmal habe ich so Ideen in meinem Kopf, aber erst durch das Studium lerne ich sie zu benennen. Bei dem Thema des sozialen Konstruktivismus ist mir nochmals richtig klar geworden, wie sehr wir unsere Welt selbst konstruieren und das andere Menschen durch das, was wir vorgeben und wie es sein muss, durchaus Nachteile verspüren. Warum werden Menschen stigmatisiert? Weil wir eine soziale Welt erschaffen und bestimmen was als normal gilt und was nicht. Menschen, die einen Arzttitel tragen, Pharmazeuten, etc. setzen fest ab wann eine Krankheit eine Krankheit ist. Bislang habe ich das nicht hinterfragt. Wie jedoch gesagt, sollte nicht alles verteufelt werden, sondern wir müssen es uns bewusst machen und mit offenen Augen schauen, was um uns herum geschieht und wie wir uns dazu positionieren.
Was hat uns unsere Professorin zum Bachelorabschluss mitgegeben:
Hört niemals auf zu fragen!!
Hier mein persönlicher Buchtip
2 Kommentare
Dr.Wilkens
Liebe Melanie,
danke für Deine Zeilen und die Einblicke, die Du in Dein Studium und Deine Gedanken gibst.
Zum Thema Diagnosen fällt mir noch ein, daß sie auch das derzeitige Bewußtseinsmodell unserer Gesellschaft spiegeln. Das würde mir durch Reisen nach Indien klar, wo Intellekt und Gedanken nicht als höchste Bewußtseinsebene angesehen werden.
Melanie
Liebe Kristina,
ja das stimmt. Die Kultur spielt da sicher eine wesentliche Rolle. Ich finde es einfach so quer, dass wir Menschen in der Lage sind soviel selbst zu konstruieren, aber dennoch so festgefahren sind, wenn es darum geht wieder etwas zu verändern. Da werden Menschen als „verrückt“ angesehen und dabei ist es doch viel verrückter, dass es uns so schwer fällt um zu denken. Und es ist tatsächlich schwer. Ich merke selbst immer, wie schnell man auch in seinem persönlichen denken wieder in alte Muster verfallen kann. Für eine ganze Gesellschaft ist es ein Meilenstein.
Obwohl in unserer Kultur nicht gänzlich alles schlecht ist, können wir dennoch von anderen noch wesentliche Dinge lernen. Dein Kommentar bzgl. Indien ist interessant sicher spannend sich mal näher damit zu beschäftigen.