Krankheit sozial konstruiert – Wir können etwas ändern, das zeigt uns die Corona- Krise
Aktuell dreht sich alles um den Corona Virus. Das erste Mal seit dem zweiten Weltkrieg, so berichtet Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Ansprache zur Corona Krise, wird außergewöhnlich viel Solidarität von den Menschen gefordert. Es gründen sich Helfertrupps, Nachbarschaftshilfen, etc. In dieser Krise bereite ich mich mittendrin auf meine erste Prüfung im Master vor und habe so zumindest etwas das Gefühl von gewohnter Routine nach dem Bachelorstudium.
Ich persönlich finde es bemerkenswert das viele Bürgerinnen und Bürger in unterschiedlichster Weise zusammenrücken und versuchen dem Virus zu bekämpfen. Wenn ich so in meiner Literatur stöbere denke ich nur, wie schön wäre diese Solidarität auch in Zukunft in anderen Bereichen, wenn es um Erkrankungen geht.
Es gibt viele Erkrankungen, darunter auch im psychischen Bereich, denen etwas mehr Solidarität wirklich guttun, und unsere Gesellschaft in einem anderen Licht dastehen lassen würde.
Ich lese gerade einen interessanten Text, auf den ich mich in diesem Beitrag kurz beziehen werde. Es geht um sozialen Konstruktivismus in Bezug auf Krankheiten. Wenn wir erkennen können, dass etwas ein Produkt unserer Kultur ist, das ohne uns nicht existieren würde, dann können wir von einer sozialen Konstruktion ausgehen. Das bedeutet, dass viel von unserer Kultur abhängt, was wir Krankheiten für eine Bedeutung zuschreiben. Das heißt also, dass es auch an uns liegt, wenn bestimmte Erkrankungen Stigma unterliegen, oder „Krankheiten“ als solche nicht anerkannt werden, oder neue hinzukommen, die vorher in der Gesellschaft keinen wirklichen Krankheitswert hatten. Stigma, neue Krankheiten benennen, oder Beschwerden von Menschen nicht als Erkrankung bewerten, ist nicht von der Natur gemacht. Wir Menschen schaffen Kategorien und sortieren nach unserem Ermessen ein, bzw. nach dem Ermessen von Menschen die sich dazu befähigt fühlen und denen wir ihre Berechtigung dafür zugestehen. Wenn aber soziale Konstruktion veränderbar ist, müsste das doch heißen, das wir die Macht haben, Menschen von ihrem Stigma zu befreien, und Menschen den Zugang zu Anerkennung ihrer Beschwerden zu verhelfen, auch wenn die Medizin noch keinen belegbaren Beweis dafür vorliegen hat. Wir können uns aber auch wehren gegen Diagnosen, die vielleicht zum Mensch sein dazu gehören. Vielleicht benötigen Menschen einfach längere Zeit zum verarbeiten des Todes eines geliebten Menschen, als andere. Das muss dann evtl. nicht gleich eine handfeste Depression sein (Quelle: Conrad, P. & Barker, K. K. (2010). The social construction of illness key insights and policy implications. Journal of health and social behavior, 51(1 suppl), S67-S79.).
Interessant fand ich auch, dass es Hinweise darüber gibt, das 50-75% der Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose als Kind missbraucht wurden (Slade, M., & Longden, E. (2015). Empirical evidence about recovery and mental health. BMC psychiatry, 15(1), 285.). Wenn man sich das vorstellt (insofern das überhaupt möglich ist), kann man sich denken, dass es häufig massiv verletzte Seelen sind, denen wir den Weg in unsere Gesellschaft schwer machen. Denn sozialer Konstruktivismus sagt, das wir nur das wahrnehmen, was wir mit unseren Sinnen aufnehmen (siehe das Video am Ende des Beitrags). Das hilft ungemein, wenn wir an Menschen denken, die uns vielleicht seltsam vorkommen und nicht dem entsprechen, was wir kennen. Nun ja , man könnte an dieser Stelle noch viel diskutieren, philosophieren, etc.
Der Beitrag ist nur ein winziger Teil bezogen auf ein sehr spannendes Thema. Wenn wir uns Sichtweisen und Hintergründe bewusst machen, sind wir eher in der Lage etwas zu ändern. Corona ist ein Beispiel dafür, was Politik, Gesellschaft und Medien und jeder einzelne leisten kann, wenn es um unsere Gesundheit geht.
Auf Recovery bezogen, heißt dieses, dass wir Menschen auf ihrem Recoveryweg unterstützen können, wenn wir Hintergründe wissen, erkennen und als Gesellschaft und Politik bestrebt sind etwas verändern wollen.